LG Düsseldorf, Urt. v. 4.9.2025 – 8 O 329/21: Keine Brokerhaftung für Nichtausführung bei Plattformstörung
- RA Dr. Hendrik Müller-Lankow, LL.M. (UCL)

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Im Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 4. September 2025 (Aktenzeichen 8 O 329/21) wurde entschieden: Ein Online-Broker muss nicht für die Nichtausführung einer Kundenorder haften, wenn diese auf einer technischen Störung der angebundenen Handelsplattform beruht und diese Plattform nicht als Erfüllungsgehilfe des Brokers angesehen werden kann. Damit setzt das Gericht klare Grenzen für die Haftung von Kommissionären im digitalen Wertpapierhandel.

Inhaltsübersicht
Der Sachverhalt (Kurzfassung)
Der Kläger verlangt von der Beklagten, einem sog. Online-Broker, Schadensersatz wegen Nichtausführung einer Order über den Kauf von Aktien.
Die Beklagte bietet den Wertpapierhandel von unter anderem Aktien an, nimmt Aufträge (Orders) von Kunden entgegen und platziert diese an Handelsplätzen. In den Kundenbedingungen der Beklagten hieß es: "Die [Beklagte] bietet dem Kunden lediglich eine eingeschränkte Auswahl an handelbaren Wertpapieren sowie an Ausführungsplätzen und Ausführungswegen an. So hat die Beklagte zur Ausführung der Kundenorders zum einen einen Anschlussvertrag mit der [Börsenträger] für den Anschluss an der [Handelssystem], einem elektronischen Handelssystem an der [Börse], abgeschlossen."
Der Kläger, der Kunde der Beklagten ist, erteilte der Beklagten über die Handy-App der Beklagten am Morgen des 28.01.2021 einen Kaufauftrag über 100 Aktien (bzw. ADR) des Unternehmens BioNTech zu einem Kurs von 86,94 EUR. Infolge der Ordererteilung wurde von der Beklagten der für die Order aufzuwendende Betrag in Höhe von 8.694,00 EUR von dem Guthaben des Klägers in seinem Depot abgezogen. Dieser Betrag, der fortan als investierter Betrag galt, stand dem Kläger ab diesem Zeitpunkt nicht für andere Investitionen zur Verfügung. Nach Absenden der Order wurde dem Kläger in der App der Beklagten angezeigt, dass die Order noch nicht ausgeführt worden sei.
An dem betreffenden Handelstag gab es eine vorübergehende technische Störung auf den Systemen eines technischen Dienstleisters, welcher im Auftrag des [Börsenträgers] tätig wurde. Aufgrund der technischen Störung hatte die Beklagte auch keine Kenntnis darüber, ob die Order im Handelssystem eingegangen ist oder ob sie ausgeführt oder die Ausführung abgelehnt wurde. Letztendlich wurde die Order nicht ausgeführt, was sich erst zum Ende des Handelstags herausstellte.
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Lieferung von 100 Aktien (bzw. ADR) des Unternehmens BioNTech Zug um Zug gegen Zahlung von 8.692,00 EUR. Hilfsweise verlangt der Kläger von der Beklagten die Abtretung ihres etwaigen Anspruchs gegen den an der Börse tätigen Market-Maker auf Lieferung von 100 BioNTech-Aktien Zug um Zug gegen Zahlung des genannten Kaufpreises. Diesen Hilfsantrag hat der Kläger nachträglich geändert. Der ursprüngliche Hilfsantrag war auf die Abtretung eines etwaigen Anspruchs "gegen den Handelsplatz, betrieben vom Börsenträger", gerichtet. Die Beklagte hat die Klageabweisung beantragt.
Das Urteil (Kurzfassung)
Das LG Düsseldorf hat sowohl den Hauptantrag als auch den Hilfsantrag abgelehnt und die Klage abgewiesen.
Kein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte
Der Kläger hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Schadensersatz, insbesondere folgt ein solcher Anspruch nicht aus § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Effektenkommissionsvertrag. Denn die Beklagte hat keine Pflicht aus diesem Vertrag verletzt.
Ein Kommissionär ist verpflichtet, das übernommene Geschäft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes auszuführen, bei der Ausführung das Interesse des Kommittenten wahrzunehmen und dessen Weisungen zu befolgen. Die primär geschuldete Auftragsausführung umfasst zum einen das Bemühen um die Herbeiführung eines dem Kommissionsauftrag inhaltlich entsprechenden Ausführungsgeschäfts und zum anderen die Wahrnehmung einer sich am Kapital- bzw. Terminmarkt bietenden Abschlussgelegenheit. Aufgrund ihrer Bemühungspflicht muss der Kommissionär (Broker) alle Maßnahmen treffen, die erforderlich sind, um im Kundeninteresse günstige Marktchancen wahrzunehmen und auf den Abschluss eines Ausführungsgeschäfts hinzuwirken. Der Abschlusserfolg ist grundsätzlich nicht Gegenstand des Leistungsversprechens, da es sich um eine Geschäftsbesorgung mit Dienstleistungscharakter handelt. Anbieter von Online-Trading-Diensten sind gehalten, die technischen Voraussetzungen für eine reibungslose Abwicklung zu schaffen. Kann der Kommissionär den Kommissionsauftrag nicht ausführen, weil ihm dies nicht möglich ist, wird er von seiner Leistungspflicht frei.
So war es im entschiedenen Fall. Der Beklagten war es unmöglich, die Order auszuführen und wurde dadurch von ihrer Leistungspflicht befreit. Sie trifft auch kein Verschulden hinsichtlich der technischen Störung. Ein Verschulden des technischen Dienstleisters war der Beklagten nicht zuzurechnen, weil dieser nicht als Erfüllungsgehilfe der Beklagten tätig wurde, sondern als Erfüllungsgehilfe des Börsenträgers.
Kein Schadensersatzanspruch der Beklagten gegen den Market-Maker
Das LG Düsseldorf verneinte auch einen im Hilfsantrag geltend gemachten Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Abtretung eines Schadensersatzanspruchs, welcher etwaig der Beklagten gegenüber dem an der Börse tätigen Market-Maker zustand.
Grundsätzlich wäre ein solcher Abtretungsanspruch nach den vom BGH entwickelten Grundsätzen der Drittschadensliquidation möglich. Einem Kommittenten selbst, der aus der Leistungsstörung des Dritten einen Schaden erlitten hat, fehlt es an einem vertraglichen Anspruch gegen ihn. Um in dieser Situation eine unvertretbare Entlastung des Dritten zu vermeiden, ist der Kommissionär ausnahmsweise berechtigt, den Schaden des Kommittenten gegenüber dem Dritten zu liquidieren. Der Kommissionär, der selbst keinen Schaden erlitten hat, kann den Schaden des Kommittenten aus Nicht-, Spät- oder Schlechtleistung einschließlich eines entgangenen Gewinns an sich ziehen und ihn im eigenen Namen gegenüber dem Dritten geltend machen. Der Kommittent seinerseits kann zudem vom Kommissionär Abtretung des Anspruchs gegen den Dritten verlangen.
Die Voraussetzungen eines Anspruches der Beklagten gegen den Market-Maker auf Lieferung der 100 Aktien liegen jedoch nicht vor. Denn es stand nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass überhaupt ein Geschäft zwischen der Beklagten und dem Market-Maker zustande gekommen ist. Es stand lediglich fest, dass die Beklagte einen Antrag (§ 145 BGB) auf Abschluss eines Kaufvertrags an den technischen Dienstleister übermittelt hat. Ob dieser den Market-Maker erreicht hat und, falls ja, ob dieser den Antrag angenommen hat, konnte vom Kläger nicht nachgewiesen werden.
Anmerkung
Das Gericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Ein Broker wird im Wertpapierhandel als Effektenkommissionär tätig und schuldet als solcher lediglich das Bemühen um die weisungsgemäße Auftragsausführung. Wenn ein vom Betreiber des Handelsplatzes beauftragter technischer Dienstleister eine Systemstörung zu verschulden hat, ist dies grundsätzlich nicht dem Broker zuzurechnen. Eine Pflichtverletzung kann ihm dann nicht zur Last gelegt werden.
Soweit der Kläger in seinem Hilfsantrag einen Anspruch aus Drittschadensliquidation begehrt hat, hat das Gericht den gegen den Market-Maker gerichteten Anspruch abgelehnt, weil der Kläger das Zustandekommen eines Kaufvertrags nicht beweisen konnte. Im Ergebnis war das absehbar. Wäre der Kläger bei seinem ursprünglichen Hilfsbegehr geblieben (Anspruch gegen den Börsenträger), hätte sich die interessante Anschlussfrage gestellt, unter welchen Voraussetzungen der Börsenträger für Systemausfälle, die von ihm oder einem seiner Erfüllungsgehilfen verschuldet wurden, haftet. Aber auch die Begründung einer Haftung des Börsenträgers gestaltet sich schwierig, da er regelmäßig nicht den störungsfreien Plattformbetrieb schuldet und insoweit auch keine Garantie abgibt. Tritt eine Plattformstörung ein, schuldet er ein ernsthaftes Bemühen um die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit. Kommt es also auf den Systemen des Handelsplatzes zu einer Systemstörung, ist die Hürde einer Haftung also regelmäßig hoch.
Die Langfassung des Urteils ist abrufbar über openJur.
Ihr Ansprechpartner für das Börsen- und Kapitalmarktrecht: Rechtsanwalt Dr. Hendrik Müller-Lankow.







