Sekundärsanktionen der EU
- RA Dr. Hendrik Müller-Lankow, LL.M. (UCL)
- 23. Juli
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 28. Juli

Das Sanktionsregime der EU besteht aus einer Vielzahl von Verordnungen und Beschlüssen, die unterschiedliche Arten und Zwecke von Sanktionen festlegen. Diese Sanktionen lassen sich im Allgemeinen in primäre und sekundäre Sanktionen unterteilen, wobei erstere den Großteil der EU-Sanktionen ausmachen. Obwohl sekundäre US-Sanktionen erheblicher Kritik – auch seitens von EU-Institutionen – ausgesetzt sind und eine umfassende rechtliche Debatte ausgelöst haben, sind Sekundärsanktionen auch Bestandteil des EU-Sanktionsregimes.
Unter bestimmten Umständen können Finanzinstitute und andere Unternehmen außerhalb der EU dem Risiko unterliegen, sekundären EU-Sanktionen unterworfen zu werden und auf eine der EU-Sanktionslisten gesetzt zu werden. Im Falle einer Listung und abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls ist es EU-Personen untersagt, dem sanktionierten Unternehmen bestimmte Güter zu verkaufen, zu liefern, zu übertragen oder auszuführen, Geschäftsbeziehungen mit diesem zu unterhalten oder ihm finanzielle Mittel oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärsanktionen
Primäre Sanktionen richten sich gegen bestimmte Gruppen von Personen, Organisationen oder Einrichtungen (POEs – „persons, organisations or entities“), darunter auch staatliche Stellen, wenn der sanktionierende Staat es für erforderlich hält, seine Sicherheit oder geopolitischen Interessen zu schützen. Diese POEs können einem bestimmten Staat zugeordnet sein (z. B. Russland gemäß Verordnung (EU) Nr. 833/2014), einer nichtstaatlichen Organisation angehören (z. B. Al-Qaida und die Taliban gemäß Verordnung (EG) Nr. 881/2002) oder andere spezifische Ziele betreffen (z. B. Cyberangriffe gemäß Verordnung (EU) 2019/796).
Sekundäre Sanktionen hingegen richten sich nicht gegen POEs, die unmittelbar die Sicherheit oder geopolitischen Interessen des sanktionierenden Staates bedrohen. Vielmehr dienen sie der Durchsetzung der primären Sanktionen, indem sie Drittstaaten-POEs bestrafen, die sanktionierte POEs wesentlich unterstützen oder enge Beziehungen zu ihnen pflegen. Sekundäre Sanktionen können daher auch POEs treffen, die sich nicht im sanktionierten Staat befinden, nicht Teil einer sanktionierten nichtstaatlichen Organisation sind und das sanktionierte Verhalten nicht selbst ausüben.
Wie primäre Sanktionen beinhalten auch sekundäre Sanktionen in der Regel keine direkten Verpflichtungen für das sanktionierte POE selbst – dies wäre ohnehin nicht sinnvoll, da das POE nicht der Jurisdiktion des sanktionierenden Staates unterliegt. Allerdings unterliegen Personen, die der Jurisdiktion des sanktionierenden Staates unterstehen, bestimmten Verpflichtungen. Dazu kann gehören, dem sanktionierten POE bestimmte Güter nicht zu verkaufen, zu liefern, zu übertragen oder auszuführen, keine Geschäftsbeziehung zu unterhalten, keine finanziellen Mittel oder wirtschaftlichen Ressourcen bereitzustellen oder in der Jurisdiktion befindliche Mittel oder Ressourcen einzufrieren. In der Folge wird das sanktionierte POE ganz oder teilweise vom Markt des sanktionierenden Staates ausgeschlossen, was zu erheblichen finanziellen Einbußen führen kann.
Beispiele für Sekundärsanktionen der EU
Die EU hatte bislang einen zurückhaltenden Ansatz bei der Verhängung sekundärer Sanktionen. Sie ist jedoch mittlerweile dazu übergegangen, verstärkt auch auf Sekundärsanktionen zu setzen. Die nachfolgende, nich abschließende, Übersicht stellt einige Sekundärsanktionen bzw. Rechtsgrundlagen für Sekundärsanktionen dar.
Handelsbeschränkungen für Unternehmen mit engen Verbindungen zum russischen oder belarussischen Verteidigungs- und Sicherheitssektor
Nach Artikel 2b Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 ist es EU-Personen untersagt, Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck (Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung) sowie die in Anhang VII aufgeführten Güter und Technologien – d. h. solche, die zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands oder zur Entwicklung seines Verteidigungs- und Sicherheitssektors beitragen können – an Personen, Organisationen oder Einrichtungen (POEs) zu verkaufen, zu liefern, zu übertragen oder auszuführen, unabhängig davon, ob diese Güter aus der EU stammen oder nicht, sofern die Empfänger in Anhang IV gelistet sind. Zudem ist es verboten, bestimmte technische oder Vermittlungsdienstleistungen im Zusammenhang mit diesen Gütern und Technologien zu erbringen, bestimmte Finanzierungen oder finanzielle Unterstützungsleistungen bereitzustellen sowie Rechte an geistigem Eigentum oder Geschäftsgeheimnisse in Bezug auf diese Güter und Technologien an POEs aus Anhang IV zu übertragen (Artikel 2b Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014).
Anhang IV nennt POEs, die militärische Endverwender sind, Teil des russischen militärisch-industriellen Komplexes oder in sonstiger Weise mit dem russischen Verteidigungs- und Sicherheitssektor verbunden sind, diesen unterstützen oder kommerzielle Beziehungen zu ihm unterhalten. Der Anhang ist ausdrücklich so gefasst, dass er auch POEs mit Sitz in Drittstaaten außerhalb Russlands umfasst. Während sich die Liste ursprünglich nur auf in Russland ansässige Unternehmen bezog, wurden mit dem zehnten Sanktionspaket gegen Russland erstmals auch Unternehmen außerhalb der EU in Anhang IV aufgenommen. Den Anfang machten iranische Unternehmen, gefolgt von Firmen aus Armenien, China, Indien, Kasachstan, Kirgisistan, Serbien, Singapur, Sri Lanka, Syrien, Thailand, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Usbekistan.
Drittstaatliche Unternehmen, die außerhalb Russlands ansässig sind und enge Verbindungen zum russischen Verteidigungs- und Sicherheitssektor unterhalten, laufen somit Gefahr, auch ohne besonderen EU-Bezug sekundären EU-Sanktionen zu unterliegen. Ihre Aufnahme in Anhang IV der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 hat zur Folge, dass EU-Personen ihnen die genannten Güter und Technologien weder verkaufen, liefern, übertragen noch ausführen dürfen.
Artikel 1fa Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 enthält eine vergleichbare Regelung in Bezug auf Belarus. Allerdings sind in Anhang V derzeit ausschließlich belarussische Unternehmen gelistet. Da der Anhang nicht ausdrücklich vorsieht, dass auch Unternehmen aus Drittstaaten aufgenommen werden können, ist davon auszugehen, dass eine solche Erweiterung in Zukunft ebenfalls nicht geplant ist.
Einfrieren von Vermögenswerten und Bereitstellungsverbot bei Unterstützung der Umgehung von Sanktionen gegen Russland oder Belarus
Nach Artikel 2 der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 sind EU-Personen verpflichtet, sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Eigentum, Besitz, unter der Kontrolle oder Verfügungsgewalt von in Anhang I gelisteten Personen, Organisationen oder Einrichtungen (POEs) stehen, einzufrieren. Zudem dürfen diesen POEs weder direkt noch indirekt Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
Im Rahmen des achten Sanktionspakets gegen Russland wurde ein zusätzlicher Listungstatbestand in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 aufgenommen. Danach sind in Anhang I auch solche POEs aufzunehmen, die gegen das Verbot der Umgehung der Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 269/2014, der Verordnung (EU) Nr. 692/2014, der Verordnung (EU) Nr. 833/2014, der Verordnung (EU) 2022/263, des Beschlusses 2014/145/GASP, des Beschlusses 2014/386/GASP, des Beschlusses 2014/512/GASP oder des Beschlusses (GASP) 2022/266 verstoßen oder diese Vorschriften in erheblichem Maße unterlaufen.
Die Aufnahme in die Liste ist nicht auf POEs mit Sitz oder Niederlassung in Russland beschränkt, sondern kann auch Unternehmen aus anderen Drittstaaten betreffen. Zwar liegt der Fokus auf russischen POEs, es wurden jedoch auch Firmen aus Belarus, Georgien, Iran, Nordkorea, der Türkei (Türkiye) und den Vereinigten Arabischen Emiraten gelistet.
Eine vergleichbare Regelung findet sich in Artikel 2 Absatz 7 der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 im Hinblick auf das Sanktionsregime gegen Belarus. Auch dort können POEs in Anhang I aufgenommen werden, wenn sie nach Einschätzung des Rates der EU an der Umgehung der genannten Verordnung oder des Beschlusses 2012/642/GASP mitwirken oder deren Wirksamkeit in erheblichem Maße beeinträchtigen. Zwar ist die Liste grundsätzlich auch für nicht-belarussische Unternehmen offen, derzeit ist jedoch nur ein türkisches Unternehmen gelistet.
Drittstaatliche Unternehmen können somit in den Anwendungsbereich sekundärer EU-Sanktionen geraten, wenn sie die Umgehung von Sanktionen gegen Russland oder Belarus erleichtern. Allerdings ist ein enger Bezug zur EU erforderlich, da der Listungstatbestand darauf abzielt, Drittstaaten-Personen von einer Mitwirkung an Sanktionsumgehungen durch EU-Personen abzuhalten. Im Falle einer Listung sind EU-Personen verpflichtet, die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen des betroffenen Unternehmens einzufrieren und ihnen keine finanziellen Mittel oder wirtschaftlichen Ressourcen mehr zur Verfügung zu stellen.
Transaktionsverbote bei Nutzung des russischen Zahlungssystems in Verbindung mit der Unterstützung von Sanktionsumgehungen gegen Russland
Gemäß Artikel 5ac Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 ist es EU-Personen untersagt, Transaktionen mit Personen, Organisationen oder Einrichtungen (POEs) durchzuführen, die in Anhang XLIV der Verordnung gelistet sind (Transaktionsverbot). Diese Regelung wurde im Rahmen des 14. Sanktionspakets gegen Russland neu eingeführt.
Anhang XLIV soll POEs erfassen, die außerhalb Russlands ansässig sind und das SPFS-System (Sistema Peredachi Finansovykh Soobscheniy) der Zentralbank Russlands oder vergleichbare spezialisierte Finanznachrichtendienste nutzen, die von der russischen Zentralbank oder vom russischen Staat eingerichtet wurden, und durch diese Nutzung (i) zur finanziellen Resilienz Russlands beitragen und (ii) die Umgehung der Verbote gemäß der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 und der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 unterstützen. Derzeit ist noch kein POE in Anhang XLIV gelistet.
Ähnlich wie die neuen Listungstatbestände in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 sowie Artikel 2 Absatz 7 der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 erfordert auch Artikel 5ac Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 einen Bezug zur EU, da er auf die Unterstützung der „Umgehung“ der genannten Sanktionsverordnungen abzielt. Eine solche Umgehung setzt voraus, dass eine EU-Person wissentlich und vorsätzlich an entsprechenden Aktivitäten mitwirkt.
Ziel der Vorschrift ist es, Drittstaaten-Personen – die rechtlich nicht an die EU-Sanktionen gebunden sind – durch die Androhung des Ausschlusses vom EU-Markt faktisch zur Einhaltung bestimmter EU-Sanktionsregelungen zu bewegen.
Ausfuhrverbote für bestimmte Waren in bestimmte Drittländer
Artikel 12f der Verordnung (EU) Nr. 833/2014, eingeführt mit dem 11. Sanktionspaket gegen Russland, geht über die Möglichkeit hinaus, Drittstaatsunternehmen wegen kollusiven Zusammenwirkens mit EU-Personen zur Umgehung der Russland- oder Belarus-Sanktionen zu sanktionieren, indem er eine Marktabschottung gegenüber solchen Unternehmen vorsieht.
Stattdessen sieht Artikel 12f vor, dass der Verkauf, die Lieferung, die Weitergabe oder die Ausfuhr bestimmter besonders sensibler Güter – einschließlich damit verbundener Dienstleistungen, Finanzierungen, finanzieller Unterstützungen sowie der Übertragung geistiger Eigentumsrechte und Geschäftsgeheimnisse – gegenüber beliebigen Personen, Organisationen oder Einrichtungen (POEs) in bestimmten Drittstaaten vollständig untersagt werden kann.
Die Beschränkungen des Artikels 12f gelten für die Güter, Technologien und Länder, die in Anhang XXXIII der Verordnung aufgeführt sind. Satz 3 des Artikels 12f Absatz 3 legt fest, dass in diesen Anhang Drittstaaten aufgenommen werden sollen, bei denen der Rat der EU festgestellt hat, dass sie trotz vorheriger Kontaktaufnahme und Unterstützung durch die Union systematisch und dauerhaft darin versagt haben, den Verkauf, die Lieferung, die Weitergabe oder die Ausfuhr der in Anhang XXXIII gelisteten Güter und Technologien nach Russland zu unterbinden. Bislang hat die EU davon abgesehen, konkrete Drittstaaten in Anhang XXXIII aufzunehmen.
Artikel 12f stellt insofern einen Paradigmenwechsel dar, als das EU-Ausfuhrrecht traditionell am Ausfuhrvorgang aus der EU ansetzt, nicht jedoch an der Herkunft der Ware. Nach dieser Regelung kann die Wiederausfuhr bestimmter Güter mit Ursprung in der EU nach Russland bereits dann verboten sein, wenn keine vorherige kollusive Zusammenarbeit mit einer EU-Person zur Sanktionsumgehung vorliegt. Zudem kann ein gesamter Drittstaat mit Sanktionen belegt werden, wenn er keine wirksamen Maßnahmen zur Durchsetzung der EU-Güterrestriktionen auf seinem Staatsgebiet ergreift.
Leistungen von Kronsteyn
Kronsteyn bietet spezialisierte Beratung im deutschen und europäischen Finanzmarktrecht, einschließlich des Rechts der Finanzsanktionen. Die Kanzlei unterstützt bei allen Angelegenheiten rund um Finanzsanktionen, etwa in verwaltungs- oder zivilrechtlichen Verfahren sowie bei der Erstellung von Rechtsgutachten und Stellungnahmen. Für Anfragen wenden Sie sich bitte an Rechtsanwalt Dr. Hendrik Müller-Lankow.