Emissionszertifikatehandel: Verbot von Marktmanipulation und Insidergeschäften
Aktualisiert: 25. Nov. 2022
Das europäische Marktmissbrauchsrecht zielt darauf ab, die Integrität der Märkte zu schützen, indem Insidergeschäfte und unrechtmäßige Offenlegungen von Insiderinformationen sowie Marktmanipulation verboten werden. Maßgebliches Gesetz ist die Marktmissbrauchsverordnung (MAR), die eine Reihe von Vorschriften enthält, die von Marktteilnehmern, insbesondere Emittenten, Intermediärn und Handelsplätzen, befolgt werden müssen. Aufsichtsbehörden verfügen zudem über weitreichende Befugnisse zur Aufdeckung und Verfolgung von Verstößen.
Anwendung auf den Handel von Emissionszertifikaten
Die Vorschriften der der MAR gelten für alle Finanzinstrumente, die zum Handel an einem Geregelten Markt (Börse) zugelassen sind oder über ein Multilaterales Handelssystem (MTF) oder Organisiertes Handelssystem (OTF) gehandelt werden. Im Gegensatz zu Warenkassakontrakten, die keine Finanzinstrumente sind und daher nicht dem gesamten Regelwerk der MAR unterliegen (mit der Folge, dass nur Derivate davon vollständig von den MAR-Bestimmungen erfasst werden), sind Emissionszertifikate Finanzinstrumente und unterliegen zusammen mit allen Derivaten davon dem europäischen Marktmissbrauchsrecht.
Verbot der Marktmanipulation
Hinsichtlich der Marktmanipulation verbietet Art. 12 MAR insbesondere:
das Erteilen von Aufträgen, das Eingehen von Geschäften oder jedes andere Verhalten, das falsche oder irreführende Signale in Bezug auf das Angebot, die Nachfrage oder den Preis eines Finanzinstruments gibt oder das geeignet ist, den Preis auf einem anormalen oder künstlichen Niveau zu halten;
das Erteilen von Aufträgen, das Eingehen von Geschäften oder jedes andere Verhalten, das den Kurs eines Finanzinstruments beeinflusst oder zu beeinflussen geeignet ist und bei dem eine Form der Täuschung angewandt wird;
die Verbreitung von Informationen über Medien, die falsche oder irreführende Signale über das Angebot eines Finanzinstruments, die Nachfrage danach oder seinen Preis geben oder geeignet sind, seinen Preis auf einem anormalen oder künstlichen Niveau zu halten, einschließlich der Verbreitung von Gerüchten, wenn die Person, die die Informationen verbreitet hat, wusste oder hätte wissen müssen, dass diese falsch oder irreführend sind.
Darüber hinaus gilt auch der Kauf oder Verkauf von Emissionszertifikaten oder damit verbundenen Derivaten auf dem Sekundärmarkt vor der Versteigerung gemäß der Verordnung (EU) 1031/2010 als Marktmanipulation, wenn er dazu führt, dass der Auktionsclearingpreis für die Auktionsobjekte auf einem anormalen oder künstlichen Niveau festgesetzt wird, oder wenn er die Bieter bei den Versteigerungen irreführt. Die Auktionspreise und die Preise auf dem Sekundärmarkt sind miteinander verknüpft, was auch in Art. 7 Abs. 6 der Verordnung (EU) Nr. 1031/2010 zum Ausdruck kommt, wonach die Auktion annulliert werden soll, wenn der Auktionsclearingpreis deutlich unter dem Preis auf dem Sekundärmarkt liegt. Es soll verhindert werden, dass die Marktteilnehmer von der Arbitrage zwischen dem Primär- und Sekundärmarkt profitieren.
Anhang I der MAR enthält eine nicht erschöpfende Liste von Indikatoren für falsche oder irreführende Signale und für die Sicherung von Preisen auf einem künstlichen Niveau. Einzelne oder aufeinander abgestimmte Handlungen, die darauf abzielen, eine beherrschende Stellung in Bezug auf das Angebot eines Finanzinstruments oder die Nachfrage danach zu erlangen, sind ebenfalls Marktmanipulation. Andere Handelsstrategien können nicht als manipulativ angesehen werden, insbesondere wenn sie ausschließlich zur Spekulation auf die ungewisse zukünftige Preisentwicklung eines Finanzinstruments durchgeführt werden.
Verbot von Insidergeschäften und unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen
Über die Marktmanipulation hinaus verbietet die MAR auch Insidergeschäfte und die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen. In Bezug auf Emissionszertifikate und darauf basierende Auktionsprodukte enthält Art. 7 Abs. 1 Buchst. c MAR eine spezifische Definition von Insiderinformationen, namentlich nicht-öffentliche, präzise Informationen, die, wenn sie veröffentlicht würden, wahrscheinlich einen erheblichen Einfluss auf die Preise dieser Instrumente oder damit verbundener Derivate haben würden.
Unter den ergänzenden Vorschriften zur Verringerung des Risikos des Marktmissbrauchs sieht die MAR allgemeine Transparenzanforderungen vor, die auch für die Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate gelten, welche die ihnen vorliegenden Insiderinformationen über ihre Tätigkeiten rechtzeitig öffentlich bekannt geben müssen. Im Falle von Teilnehmern am Markt für Emissionszertifikate, deren Gesamtemissionen oder thermische Nennleistung den von der Europäischen Kommission gemäß Art. 17 Abs. 2 MAR festgelegten Schwellenwert erreichen oder unterschreiten, sind Insiderinformationen über ihre Tätigkeiten nicht offenzulegen. Alle anderen Teilnehmer, die den Schwellenwert überschreiten, müssen Informationen offenlegen, die den Preis beeinflussen könnten, z. B. eine geplante Stilllegung von Stromerzeugungskapazitäten.
Aufschiebung der Veröffentlichung
Die Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate können die Veröffentlichung von Insiderinformationen aufschieben, wenn die sofortige Veröffentlichung ihre berechtigten Interessen beeinträchtigen könnte, die Öffentlichkeit durch die Verzögerung nicht irregeführt werden kann und die Vertraulichkeit gewährleistet ist. Wurde die Veröffentlichung verzögert, müssen die Marktteilnehmer die Aufsichtsbehörde informieren und unmittelbar nach der Veröffentlichung der Informationen schriftlich darlegen, wie die einschlägigen Bedingungen erfüllt wurden.
Insiderlisten
Wie alle Emittenten müssen die Marktteilnehmer für Emissionszertifikate zur Überwachung des Flusses von Insiderinformationen eine Liste aller Personen erstellen, die Zugang zu Insiderinformationen haben. Diese Verpflichtung gilt für Marktteilnehmer am Emissionszertifikate-Markt in Bezug auf Insiderinformationen, die sich auf den physischen Betrieb des betreffenden Marktteilnehmers beziehen, aber auch für jede Auktionsplattform und jeden Auktionator in Bezug auf Versteigerungen von Emissionszertifikaten oder anderen darauf basierenden Auktionsobjekten gemäß der Verordnung 1031/2010.
Meldung von Geschäften
Darüber hinaus müssen Personen, die Führungsaufgaben wahrnehmen, sowie mit ihnen eng verbundene Personen dem Marktteilnehmer für Emissionszertifikate und der Aufsichtsbehörde jede auf eigene Rechnung durchgeführte Transaktion im Zusammenhang mit Emissionszertifikaten, darauf basierenden Auktionsobjekten oder darauf bezogenen Derivaten melden. Die Marktteilnehmer am Emissionszertifikate-Markt müssen ein Verzeichnis aller Personen, die Führungsaufgaben wahrnehmen, sowie der mit ihnen in enger Beziehung stehenden Personen erstellen.
Erste Verteidigungslinie
Zusätzlich legt die MAR Regeln zur Aufdeckung von Marktmissbrauch fest. Art. 16 MAR sieht vor, dass Marktbetreiber, Wertpapierfirmen, die einen Handelsplatz betreiben, und alle Personen, die beruflich Geschäfte vermitteln und ausführen, Vorkehrungen, Systeme und Verfahren einrichten, um verdächtige Aufträge und Geschäfte zu erkennen und den nationalen Aufsichtsbehörden zu melden (STOR, -Meldungen). Die erste Verteidigungslinie bei der Bekämpfung des Marktmissbrauchs befindet sich daher auf Unternehmensebene, wo sicherzustellen ist, dass ein potenziell missbräuchlicher Handel aufgedeckt und in Form eines STOR gemeldet wird. Ihr Vorhandensein stellt sowohl eine Ex-ante-Abschreckung als auch eine Möglichkeit dar, die Aufdeckung im Nachhinein zu verfolgen.
Diese vom Unternehmen einzurichtenden Vorkehrungen, Systeme und Verfahren erstrecken sich auch auf Emissionszertifikate und damit verbundene Instrumente und sollten in Bezug auf Umfang, Größe und Art ihrer Geschäftstätigkeit angemessen und verhältnismäßig sein, um sicherzustellen, dass Aufträge oder Transaktionen, die einen begründeten Verdacht auf Insiderhandel oder Marktmanipulation aufkommen lassen, erkannt und der Aufsichtsbehörde gemeldet werden. Meldepflichtige Unternehmen müssen nicht nur Geschäfte melden, die am Handelsplatz getätigt werden, sondern auch OTC-Geschäfte, wenn sie Instrumente betreffen, die in den Anwendungsbereich der MAR fallen. In der Praxis sollten die implementierten Systeme und Verfahren die Analyse aller Transaktionen und Aufträge auf individueller und vergleichender Basis ermöglichen und Warnmeldungen erzeugen, die auf Aktivitäten hinweisen, die eine weitere Untersuchung erfordern.
Zweite Verteidigungslinie
Die zweite Verteidigungslinie, die diejenige auf Unternehmensebene ergänzt, befindet sich auf der Ebene der Marktbetreiber und Wertpapierfirmen, die einen Handelsplatz betreiben. Sie weist einen erweiterten Anwendungsbereich auf, da Marktbetreiber und Wertpapierfirmen, die einen Handelsplatz betreiben, zusätzlich zu ihrer Verpflichtung, verdächtige Aufträge und Geschäfte zu ermitteln und über die STORs zu melden, auch der Verpflichtung unterliegen, wirksame Systeme und Verfahren zur Verhinderung von Marktmissbrauch einzurichten und aufrechtzuerhalten. Dies mündet in einer Verpflichtung zu einer strukturierten Marktüberwachung auf der Ebene des Handelsplatzes, mit der sichergestellt werden soll, dass Aufträge ermittelt und gestoppt werden, bevor es zu einem Marktmissbrauch kommt. Auch die Mechanismen auf Handelsplatzebene sollen in einem angemessenen Verhältnis zu Umfang, Größe und Art der Geschäftstätigkeit stehen.
Dritte Verteidigungslinie
Die dritte Verteidigungslinie ist schließlich die aufsichtsbehördliche Marktüberwachung. Die europäischen Aufsichtsbehörden verfügen über Marktüberwachungssysteme, um Marktmissbrauch zu bekämpfen. Dabei verfolgen sie einen Überwachungsansatz, der alle ihnen im Rahmen der Gesetze und Verordnungen zur Verfügung stehenden Informationen und alle öffentlich zugänglichen Informationen einbezieht. Diese Daten werden sowohl in Bezug auf Emissionszertifikate als auch auf verschiedene Kategorien von Derivaten verarbeitet, wobei auch automatisierte Warnsysteme zum Einsatz kommen.
FAQ zu Marktmanipulation und Insidergeschäften
Was ist eine STOR-Meldung?
Gilt die MAR auch für den Handel von Emissionszertifikaten?
Ihr Ansprechpartner:
Dr. Hendrik Müller-Lankow
Rechtsanwalt, LL. M. (UCL)
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